Wie Kommunen Demokratiebildung
fördern können

Julia Lange ist Koordinatorin des Netzwerks für Demokratiebildung in Thüringen. Bereits im November 2024 war sie als Impulsgeberin bei unserer Fortbildung „Demokratiebildung in Kommunen und im Ganztag“ zu Gast. Der Vortrag stieß auf großes Interesse bei den Teilnehmenden. Im Interview geht die in Jena tätige Projektverantwortliche auf die aktuellen Herausforderungen in der Demokratiebildung ein und erläutert, warum Kommunen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sich des Themas annehmen sollten. 

Die Koordinatorin des thüringischen Netzwerks Demokratiebildung Julia Lange wirbt in mitteldeutschen Kommunen dafür, die Demokratiebildung stärker in den Fokus zu rücken.

Frau Lange, womit beschäftigt sich das Netzwerk für Demokratiebildung in Thüringen genau?

Das Netzwerk gibt es seit 2021 und ist ein Zusammenschluss von mittlerweile 30 Trägern der Demokratiebildung in Thüringen. Diese sind sehr unterschiedlich aufgestellt: Zu uns gehören größere Bildungsstätten, Gedenkstätten aber auch Vereine, die kleinere Projekte umsetzen. Einige Träger adressieren vorwiegend Kinder und Jugendliche, andere eher Erwachsene im Arbeitskontext, wieder andere richten sich vor allem an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Die meisten arbeiten aber durchaus mit vielen verschiedenen Zielgruppen zusammen.

Unser Netzwerk bringt die verschiedenen Träger zusammen. Sie sollen voneinander wissen, sich fachlich miteinander austauschen, sich gegenseitig oder zusammen weiterqualifizieren und ihre Angebote über das Netzwerk hinaus bekannt machen. Und natürlich geht es in unserer Arbeit auch darum, für gute Rahmenbedingungen zu werben.

Zu Demokratiebildung gehören für uns die Angebote, die Menschen darin unterstützen, politische Zusammenhänge zu analysieren, zu verstehen und sich ein politisches Urteil zu bilden. Darüber hinaus geht es darum Partizipations- und Aushandlungserfahrungen zu machen. Je nach wissenschaftlicher Strömung werden diese beiden Anteile auch in politische Bildung und Demokratiebildung unterschieden oder in einer Klammer zusammengedacht. Wir können mit beidem gut leben.

Seit einigen Jahren verändert sich die weltpolitische Lage in rasantem Tempo. Wir alle können dabei zusehen, wie Demokratie weltweit unter Druck gerät. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Diese Beobachtung teilen ich und meine Kolleginnen und Kollegen wirklich mit Erschrecken. Seit Jahren nehmen wir Diskursverschiebungen nach rechts wahr und das bleibt natürlich nicht folgenlos – im Übrigen auch nicht begrenzt auf Ostdeutschland. Marginalisierte Gruppen und Menschen, die sich für die Demokratie und ein Leben in Vielfalt einsetzen, erfahren zunehmend mehr Angriffe und Gewalt. Um das für den Bildungskontext einmal schlaglichtartig festzuhalten: Verfassungsfeindliche Äußerungen und Symbole sind auf Schulhöfen leider keine Ausnahme mehr. Von Rassismus Betroffene erwägen den Wegzug und zahlreiche Veranstaltungen im Bereich der politischen Bildung und Demokratiebildung finden nur noch mit Sicherheitsdienst statt.

Gleichzeitig wird oft auf ein vermeintliches Neutralitätsgebot in der Bildung abgehoben, wozu wir und andere uns aber schon mehrfach geäußert haben: Die Demokratie, also u. a. die Garantie von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung, und damit natürlich auch eine vielfältige Gesellschaft sind wesentliche Eckpfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Diese steht nicht zur Debatte und in diesem Sinne wird Demokratiebildung und politische Bildung auch nicht neutral sein.

Die Statistik zu politisch motivierter Kriminalität, Verfassungsschutzgutachten und wissenschaftliche Studien wie der Thüringen-Monitor belegen: Die Republik hat ein Problem mit menschenfeindlichen Einstellungen und Gewaltfantasien. Regelmäßig werden rechtsextreme Vorfälle an Schulen bekannt. Wie wirkt sich das auf die Demokratiearbeit vor Ort aus?

Demokratiebildungsangebote erfahren eine große Nachfrage, aber leider oft im Sinne eines Feuerlöschers: An der Schule „brennt“ es und ein Träger, der z. B. Projekttage mit Jugendlichen anbietet, soll nun kommen und dieses Problem lösen. Da es sich aber um ein multifaktorielles Problem handelt, muss erst einmal analysiert werden, welcher Teil des Problems überhaupt durch Bildungsangebote bearbeitet werden kann und wie diese dann in ein langfristiges Bildungskonzept, z. B. an einer Schule, eingebettet werden können.

Außerdem müssen wir feststellen, dass Demokratiearbeit ein zunehmend gefährliches Terrain geworden ist: Schwarze Trainerinnen und Trainer können oft nicht sicher zu Veranstaltungen anreisen. Andere wurden an Berufsschulen mit Stühlen beworfen. Träger beklagen brennende Briefkästen. In den Seminaren selbst leugnen einzelne Teilnehmende den menschengemachten Klimawandel und mitunter auch den Holocaust und gleichzeitig werden den Seminarleiterinnen und -leitern „Cancel Culture“ oder Falschbehauptungen unterstellt.

Auf welche Weise können sich Kommunen, also die Verwaltungen in Landkreisen und kreisfreien Städten, in der Demokratiebildung engagieren?

Ich glaube, die gerade beschriebenen Umstände sollten schon Anlass genug sein, Demokratiebildung zu unterstützen. Vor allem aber sollten sich Kommunen in Demokratiebildung einbringen, weil sie einfach näher an Zielgruppen dran sind. Manche Angebote sind bei städtischen Trägern angesiedelt. Diese werden im ländlichen Raum leider oft wie eine Art Alien wahrgenommen. 

Darüber hinaus sollte sich die Kommunalpolitik auch als eine Form der Rückendeckung für Demokratiearbeit verstehen. Dazu gehört z. B., dass demokratiefeindliches Agieren auch als solches benannt wird und regionale Akteure in ihrer Demokratiearbeit unterstützt werden. Oft sind z. B. die „Partnerschaften für Demokratie“ in den Landkreisen wichtige Anlaufstellen – für Demokratiebildnerinnen und -bildner selbst, aber auch für Menschen, die sich für Veranstaltungen und Angebote zum Thema interessieren, etwa im Bereich Empowerment. Außerdem ermöglichen sie in der Regel vergleichsweise niedrigschwellig die Durchführung von kleineren Demokratieprojekten vor Ort. Es ist wichtig, diese Anlaufstellen zu erhalten und gegen Kürzungsvorschläge zu verteidigen.

Welche Tipps haben Sie für die mitteldeutschen Kommunen?

Die eben erwähnten „Partnerschaften für Demokratie“ sind super Schlüsselstellen in den Landkreisen und können ein toller Ausgangspunkt sein. Die sogenannten PfD kennen zahlreiche Träger von Demokratiebildung in der Region und sind oft gut mit ihnen vernetzt. Daneben ist es ratsam, vorab ein paar Fragen zu klären. Auf welchen Bedarf soll reagiert werden: Geht es eher um Wissensvermittlung oder eher um Empowerment? Werden alle Menschen gleichermaßen angesprochen, oder sollte es sich eher an eine spezifische Zielgruppe richten? Meldet diese Zielgruppe den Bedarf selbst an oder glaubt jemand anderes, diese Zielgruppe könnte Angebot x oder y mal gebrauchen?

Danach lohnt es sich, in Erfahrung zu bringen, welche Angebote es vor Ort gibt – hier nochmal der Verweis an die PfD – und wie diese arbeiten. Viele Träger entwickeln neben ihren Abrufangeboten passgenaue Angebote. Auf dieser Basis gehen sie gerne längerfristige Kooperationen ein, um möglichst nachhaltig wirken zu können. Deswegen lohnt es sich, mit den Trägern ins Gespräch zu gehen. Mitunter ist es sinnvoll, eine Kooperation mit mehreren Trägern einzugehen, die sich gegenseitig ergänzen können.

Welchen Mehrwert hat die Demokratiebildung für Kommunen?

Demokratiebildungsangebote können Menschen in ihrem Engagement für Demokratie, Menschenrechte und Vielfalt bestärken. Außerdem werden sie durch Angebote der politischen Bildung in die Lage versetzt, komplexe politische Zusammenhänge kritisch zu analysieren und ein reflektiertes Urteil zu fällen. Kommunen, die dafür Raum schaffen, laden Unterstützerinnen und Unterstützer der Demokratie dazu ein, zu bleiben. Sie tragen zu einer weltoffenen Gemeinschaft bei.

 

Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Interview für eine gendergerechte Sprache die Paarform verwendet. Sie versteht sich hier als Spektrum und schließt alle Geschlechtsidentitäten ausdrücklich mit ein. 

Kontakt

Das Interview führte Alexander Lorenz, Kommunalberatung Thüringen.

Tel.: 0341-993923 11 E-Mail: lorenz@dji.de

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