Inklusion in der Kommune –
wie steht es um die Umsetzung der UN-BRK?

In einer Artikelreihe befassen wir uns mit dem Thema Inklusion als kommunales Handlungsfeld. Der erste Beitrag widmet sich der Frage, wie deutsche Kommunen die im Jahr 2009 ratifizierte UN-BRK umsetzen. Ein Forschungsprojekt dazu zeigt Fortschritte und Lücken – und liefert Impulse für inklusivere Planungsprozesse.

Deutschland mit deutlichem Nachholbedarf

Das zuständige Komitee der Vereinten Nationen attestiert Deutschland Nachholbedarf bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung. Zu stark separiert seien nach wie vor die Lebens- und Lernwelten von Menschen mit und ohne Behinderung.

Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 arbeiten Kommunen daran, Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung voranzubringen. Sichtbar wird dies etwa in Form von Aktionsplänen oder der Installation von Inklusions- oder Behindertenbeauftragten. 

In den beiden Staatenprüfungen durch das zuständige Komitee der Vereinten Nationen wurde Deutschland gleichwohl Nachholbedarf bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung attestiert. Zu stark separiert seien die Lebens- und Lernwelten von Menschen mit und ohne Behinderung nach wie vor in vielen Bereichen. Im Forschungsprojekt „UN-Behindertenrechtskonvention in den Kommunen“ (UN-BRK kommunal) wird derzeit untersucht, wie Inklusion in Kommunen vorangebracht wird. Im April 2024 wurde der Zwischenbericht zum Projekt vorgelegt.

Das Institut für Menschenrechte, an dem die Monitoring-Stelle für die UN-BRK angesiedelt ist, und das Zentrum für Planung und Entwicklung Sozialer Dienste an der Universität Siegen führen das Forschungsprojekt im Zeitraum von 2022 bis 2025 gemeinsam durch. Gegenstand des Zwischenberichts ist eine Bestandsaufnahme. Diese umfasst eine Online-Recherche zu kommunalen Planungsaktivitäten und ein Rechtsgutachten zur Rolle der Kommunen bei der Umsetzung der UN-BRK. 

Im Abschlussbericht soll aufbauend auf den Erkenntnissen aus diesen und weiteren Untersuchungen eine Transferstrategie erarbeitet werden. Sie soll den Kommunen dabei helfen, Inklusion weiter voranzubringen.

Kommunen in der Pflicht

Das Rechtsgutachten des Instituts für Menschenrechte ergab, dass die Kommunen in der Pflicht sind, die UN-BRK in ihrem Wirkungsbereich konventions- und menschenrechtskonform umzusetzen. 

In Bezug auf den Bildungsbereich bedeute dies zum Beispiel, dass der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems im Einklang mit den Prinzipien der UN-BRK sei: Ein solches System leiste individuelle Förderung und stelle die erforderliche sächliche oder personelle Unterstützung im allgemeinen System bereit. Das Aufrechterhalten von Sonderstrukturen in Form von Förderschulen u. ä. hingegen verstoße gegen die Grundsätze der Konvention. 

Als öffentliche Schulträger sind die Kommunen an diese Ausführungen gebunden und damit zu deren Umsetzung verpflichtet. In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen existiere bereits ein Rechtsanspruch auf inklusive Bildung ohne Einschränkungen.

Systematische Planungsaktivitäten in den Kommunen

Was tun Kommunen bisher, um die UN-BRK umzusetzen? Diese Frage leitete die Bestandsaufnahme systematischer kommunaler Planungsaktivitäten. Unter „systematischen Planungsaktivitäten“ verstehen die Forschenden Maßnahmen, die von einer kommunalen Stelle oder einem Gremium beschlossen wurden, auf die Umsetzung der UN-BRK zielen, unter kommunaler Federführung und in einer kommunalen Planungsstruktur stattfinden und mit Ressourcen ausgestattet sind. Zudem zählen dazu Aktivitäten, die die UN-BRK in bestehende Planungsprozesse wie Stadtentwicklung oder Jugendhilfe integrieren. 

Insgesamt wurden 619 Kommunen in die Online-Recherche einbezogen. Es zeigte sich, dass bisher in weniger als der Hälfte dieser Kommunen (252) systematische Planungsaktivitäten zur Umsetzung der UN-BRK erfolgt sind. Festgestellt wurde außerdem, dass mit Ratifizierung der UN-BRK im Jahr 2009 Beschlüsse zu deren Umsetzung zunächst rapide angestiegen sind. Ab dem Jahr 2014 ist die Tendenz rückläufig. Nach wie vor werden allerdings Planungsprozesse begonnen. Für die Forschenden ist dies ein Hinweis darauf, dass Inklusion in Kommunen durch neue Impulse eine neue Dynamik entfalten kann.

Die Online-Recherche hat außerdem ergeben, dass die UN-BRK in den meisten der 252 Kommunen als Querschnittsthema bearbeitet und hoch angesiedelt wird: Die initiierenden Beschlüsse werden in der Regel in den höchsten kommunalpolitischen Gremien getroffen. Bei der Themenwahl orientieren sich Kommunen häufig an Landes- oder Nationalen Aktionsplänen. Breite Themen wie Arbeit, Wohnen, Bildung und Erziehung werden oft aufgegriffen.

Potenzial bei der Gestaltung des Planungsprozesses

Die Forschenden konnten darüber hinaus aufzeigen, dass bei der Ausgestaltung des Planungsprozesses zur Umsetzung der UN-BRK in vielen Kommunen noch Luft nach oben ist. So sei etwa die Verankerung der Planungsprozesse z.B. in einer integrierten Sozialplanung oder die Verknüpfung mit anderen Fachplanungen wie der Bildungs-, Jugendhilfe- oder Gesundheitsplanung nur sehr selten vorzufinden. 

Damit der Prozess gelingen kann, sei es z.B. bedeutend, Steuerungsstrukturen, konkret eine hauptverantwortliche Person oder ein Steuerungsgremium, zu etablieren, die Ausgangslage systematisch zu erfassen und auch Akteure außerhalb der Kommunalverwaltung einzubeziehen. Dabei zeigte sich in der Untersuchung: Wenn Menschen mit Behinderung oder ihre Interessensvertretungen in den Planungsprozess einbezogen werden, sind diese Prozesse eher erfolgreich als wenn dies nicht der Fall ist.

Wie geht es nun weiter? 

Die bisherigen Erkenntnisse liefern bereits eine erste Orientierung zur Umsetzung der UN-BRK in den Kommunen. In die Transferstrategie fließen neben der Bestandsaufnahme der Planungsaktivitäten und dem Rechtsgutachten qualitative Befragungen ein. „In ausgewählten Kommunen befragen wir Beteiligte vor Ort dazu, welche Faktoren für das Gelingen einer erfolgreichen partizipativen Planung wichtig sind“, so Professor Albrecht Rohrmann vom ZPE.

Das Forschungsteam betont die Rolle der Kommunen auf dem Weg zu einem inklusiven Gemeinwesen. „Die Forschungsergebnisse sollen die Kommunen darin unterstützen, Planungsprozesse vor Ort rechtebasiert zu entwickeln und zu realisieren. Wichtig ist dabei, dies nicht über die Köpfe der Menschen mit Behinderungen hinweg zu tun, sondern partizipativ umzusetzen“, sagt Britta Schlegel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-BRK des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Wir sind gespannt auf die Handlungsempfehlungen, die 2025 vorgestellt werden und berichten hier dazu.

Im nächsten Beitrag der Reihe widmen wir uns der Frage, wie Kommunen die Inklusion im Bildungsbereich – insbesondere in der beruflichen Bildung – stärken können. Dabei werfen wir einen Blick auf Ergebnisse des DJI-Forschungsprojekts „Inklusion in der beruflichen Bildung (InBiT)“, das unter anderem einen praxisorientierten Index für Inklusion in der beruflichen Bildung entwickelt hat. Dieser soll Kommunen wertvolle Ansätze bieten, um inklusive Bildungsstrukturen am Übergang Schule – Beruf gezielt zu fördern.

Kontakt

Sabine Lucks, Wissenstransfer

Tel.: 0345-6817896 E-Mail: lucks@dji.de

Mehr zum Thema

Rechtsgutachten

Das Rechtsgutachten des Instituts für Menschenrechte ergab, dass die Kommunen in der Pflicht sind, die UN-BRK in ihrem Wirkungsbereich konventions- und menschenrechtskonform umzusetzen, etwa mit dem Aufbau eines inklusiven Bildungssystems.

Zwischenbericht

Im Forschungsprojekt „UN-Behindertenrechtskonvention in den Kommunen“ (UN-BRK kommunal) wird derzeit untersucht, wie Inklusion in Kommunen vorangebracht wird. Im April 2024 wurde der Zwischenbericht zum Projekt vorgelegt.

Themenseite

In einer inklusiven Gesellschaft ist Vielfalt die Normalität. Für sie gilt es, Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, die allen eine selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen. Auf unserer Themenseite „Inklusion“ widmen wir uns der Herausforderung der inklusiven Ausgestaltung der kommunalen Bildungslandschaft.