Sozialräumliches Bildungsmonitoring greift auf eine Vielzahl amtlicher Kennzahlen zurück, um die Situation von Menschen in einem abgegrenzten Gebiet zu beleuchten. Wie die Menschen ihr Lebensumfeld selbst wahrnehmen, lässt sich anhand amtlicher Daten jedoch nicht feststellen. Mit dem Sozialitätsindex (SIX) hat das Zentrum für Sozialforschung in Halle nun ein günstiges und effizientes Instrument entwickelt, um die subjektive Bewertung der Lebensverhältnisse von Menschen zu erfassen.
Amtliche Daten liefern wertvolle Informationen über die objektiven Lebensbedingungen von Menschen. Einkommensverhältnisse, Arbeitslosenquoten und Bildungsabschlüsse sind eine wichtige Grundlage für die fundierte Analyse sozialräumlicher Gegebenheiten in Kommunen. Sie sind Ausgangspunkt für die Planung kommunaler Bildungs- und Sozialpolitik ebenso wie struktureller Reformen und Investitionsprogramme auf Landes- und Bundesebene, wie etwa dem Startchancenprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Doch die amtlichen Daten haben eine wesentliche Einschränkung: Sie geben keinen Aufschluss darüber, wie die Menschen ihre Lebenssituation in einem bestimmten Quartier tatsächlich empfinden und bewerten. Hier setzt der Sozialitätsindex (SIX) an. Er bietet die Möglichkeit, die subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen der Bewohner eines Quartiers systematisch zu erfassen und in die Analyse einzubeziehen.
Der SIX misst unter anderem Aspekte wie Zufriedenheit mit der Wohnsituation, Sicherheitsgefühl, soziale Integration und das Vertrauen in lokale Institutionen. Damit ergänzt er die sozialstrukturellen und soziodemografischen Indikatoren um eine wesentliche Dimension: die Perspektive der Menschen selbst.
Methodik des Sozialitätsindex
Der SIX wurde vom Zentrum für Sozialforschung Halle (zsh) vom Forschungsinstitut für gesellschaftlichen Zusammenhalt, einem Verbund von elf wissenschaftlichen Institutionen, entwickelt und methodisch geprüft. Mit Hilfe eines quantitativen Fragebogens wird die subjektive Lebenssituation in drei Dimensionen erfasst: sozialer Zusammenhalt, Lebensqualität und Standortgüte. Die Beantwortung der Fragen dauert maximal fünf Minuten. Der SIX ist damit eine günstige und effiziente Möglichkeit, die Sicht von Menschen auf ihr Wohnumfeld zu erfassen.
Ein weiterer Vorteil des Sozialitätsindex liegt in seiner Anpassungsfähigkeit. Er kann leicht für spezifische Fragestellungen und lokale Besonderheiten abgewandelt werden, sodass er in unterschiedlichen Kontexten und für verschiedene Zielgruppen eingesetzt werden kann. So ließen sich etwa die drei Dimensionen getrennt abfragen. Weitere Fragen, etwa zu lokalen Themen (z. B. „Wie stehen Sie zur geplanten Schließung der Schule xy“) und persönlichen Ressourcen der Befragten, könnten aufgenommen oder gezielt für spezielle Räume (Nachbarschaften, Stadtteile, Gemeinden, Kreise) angepasst werden.
Praxisbeispiele
In ersten Projekten hat sich der SIX als wirkungsvolles Instrument erwiesen. Im Deutschlandmonitor 2023, einer bundesweiten repräsentativen Befragung, konnten Forschende des zsh bspw. zeigen, dass dort, wo mit dem SIX ein starker sozialer Zusammenhalt festgestellt wurde, auch die wahrgenommene Qualität des Wohnortes positiver eingeschätzt wird. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass die Wahrnehmung und Bewertung der Lebensqualität und des sozialen Zusammenhalts mit den individuellen Einstellungen zu Politik und Gesellschaft korrelieren.
Außerdem wurde der SIX in die Einwohnerumfrage der Stadt Halle integriert. Hier zeigt sich auch, dass verschiedene Probleme, die die Ordnung, Sauberkeit und persönliche Sicherheit betreffen, die Dimension der Lebensqualität stark beeinflussen und zwischen den Stadtteilen unterschiedlich verteilt sind. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass das Potential zur kollektiven Mobilisierung bei möglichen Schulschließungen in den Stadtteilen höher ist, in denen der soziale Zusammenhalt stärker ausgeprägt ist.
Mögliche Anwendung im kommunalen Bildungsmonitoring
Der Einsatz des SIX im kommunalen Bildungsmonitoring kann neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Die differenzierte Analyse der Lebensbedingungen in verschiedenen Quartieren ermöglicht Rückschlüsse darauf, wo die individuelle Wahrnehmung der lokalen Bereitstellung öffentlicher Güter, wie z. B. Bildungsinfrastruktur, negativ ist. So könnten zum Beispiel Quartiere identifiziert werden, in denen trotz objektiv guter Bildungsbedingungen subjektiv ein hoher Handlungsbedarf besteht.
Der SIX ließe sich außerdem mit anderen für die Bildungsplanung relevanten Fragen kombinieren. Zum Beispiel wäre es möglich, die Dimensionen der Standortgüte und Lebensqualität mit der Zufriedenheit mit der lokalen Bildungsinfrastruktur zu verknüpfen. Auch aus der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den drei Dimensionen des SIX und dem Wunsch, aus dem Quartier oder der Region fortzuziehen, ließen sich wertvolle Planungsinformationen gewinnen.
Schließlich kann der SIX eine Säule für die partizipative Entwicklung von Maßnahmen und Projekten sein. Indem die subjektiven Bewertungen der Bewohner und Bewohnerinnen einbezogen werden, können Bildungsinfrastruktur und Maßnahmen gezielt an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen ausgerichtet werden. Dies erhöht nicht nur die Akzeptanz und Wirksamkeit der Maßnahmen, sondern stärkt auch das Vertrauen in die kommunale Politik und Verwaltung.
Fazit
Der Sozialitätsindex (SIX) erweitert das sozialräumliche kommunale Bildungsmonitoring um eine wichtige Perspektive: die subjektive Bewertung der Lebensverhältnisse durch die Menschen selbst. Durch die Kombination sozialstruktureller Indikatoren mit den Ergebnissen des SIX entsteht ein umfassenderes und differenzierteres Bild der Lebens- und Bildungssituation in den Quartieren. Da er jedoch nicht automatisiert mit der amtlichen Statistik erfasst wird, müssen Kommunen zusätzliche Ressourcen aufwenden, um den SIX mit einer eigenen Erhebung zu erfassen.
Trotz dieser Einschränkung kann der SIX eine gezieltere und bedarfsgerechtere Planung von Bildungsangeboten ermöglichen, die sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen orientieren. Damit kann er einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und der sozialen Teilhabe in unseren Städten und Gemeinden leisten.
Michael Brock, Kommunalberatung Sachsen