Online-Fortbildung
Sozialplanung und Bildungsmanagement zeigen Probleme auf und machen diese u. a. für die politische Entscheidungsebene sichtbar. Doch nicht immer besitzen sozial- und bildungspolitische Themen die notwendige Attraktivität, um es auf die Agenda der Lokalpolitik zu schaffen. In unserer Online-Fortbildung haben wir mit Bildungs- und Sozialplanenden diskutiert, wie sie die kommunalpolitische Entscheidungsebene für ihre Themen gewinnen.
„Sozialplanung mit gesellschaftlichem Gestaltungsanspruch muss strategisch agieren. Das tut sie in einem hochpolitischen Kontext.“
Sozialplanung und Bildungsmanagement analysieren die Lebenslagen in den Kommunen, benennen Probleme und Defizite und stellen konkrete Handlungsbedarfe fest. Doch wie erlangen sozial- und bildungspolitische Themen die Aufmerksamkeit der Kommunalpolitik?
„Agenda Setting“ im politischen Feld
Vielerorts werde umfassend geplant, werden Berichte und Maßnahmenkonzepte erstellt, doch meistens, so erläuterte Prof. Dr. Holger Wunderlich von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in seinem Vortrag, spiegele sich die fachliche Perspektive der Sozialplanung nicht in den Ergebnissen politischer Entscheidungen wider. Doch woran liegt es, dass bestimmte Themen auf die politische Agenda gelangen, andere jedoch nicht?
Für das erfolgreiche „Agenda Setting“ sollten drei Voraussetzungen erfüllt sein, so Professor Wunderlich. Zunächst brauche es ein Problembewußtsein („problem stream“): Ein soziales Problem werde erst dann zu einem Problem, wenn es von den betroffenen Menschen auch als solches wahrgenommen und artikuliert wird. Hier kommt der Sozialplanung einerseits eine Informationsfunktion zu. Andererseits hat sie aber auch eine Anwaltsfunktion, die auf den Abbau sozialer Ungerechtigkeit zielt: Sie legt soziale Probleme offen, auch wenn sie evtl. verdeckt werden oder für Politik unliebsam sind.
Zweite Voraussetzung ist der kontinuierliche Fluss des „policy stream“: Soll ein Problem gelöst werden, braucht es adäquate Lösungsmöglichkeiten. Lösungsvorschläge zu unterbreiten – auch das ist eine Aufgabe von Sozialplanung. Und die dritte Voraussetzung ist das Fließen des „political stream“. Damit ist das Interesse von Politikerinnen und Politikern an einem Problem gemeint.
Da sozial- und bildungspolitische Themen aufgrund ihrer hohen Komplexität tendenziell unattraktiv für Politik sind, ist es an der Sozialplanung ihre Themen konkret und eindeutig zu formulieren und die gesellschaftliche Relevanz in der Kommune herauszuarbeiten. Wenn schließlich alle drei Ströme ungehindert fließen können, dann öffne sich das „window of opportunity“, so Professor Wunderlich.
Dilemmata der Sozialplanung
Bei der Umsetzung der beschriebenen Aufgaben gerate Sozialplanung jedoch immer wieder in verschiedene Dilemmata. Zum einen identifiziert Professor Wunderlich ein Erkenntnisdilemma: Zwar liegen zahlreiche relevante Informationen über die Lebenssituation der Menschen vor Ort vor, allerdings würden die Wissensbestände nicht ausreichend aufeinander bezogen. Häufig sei die Datenlage nicht gegeben oder es gäbe einen starken Fokus auf quantitative Daten. Zudem müssten Ressourcen und Ursachen stärker in den Blick genommen und bei der Entwicklung von Lösungen berücksichtigt werden.
Ein anderes Dilemma der Sozialplanung, das Professor Wunderlich identifiziert, ist das Diskursdilemma: Diskurse in der Bildungs- und Sozialplanung hätten häufig den Charakter von Selbstvergewisserungsdiskursen. Man vergewissere sich zwar, dass Einigkeit über die aufgezeigten Probleme bestehe. Doch häufig bleibe es dann nur bei Absichtserklärungen. Hierfür stehe die Rationalität der Politik allzu oft der fachlichen Perspektive der Sozialplanung entgegen.
Konkrete Festlegungen im Sinne von messbaren Zielen, wie sie die Sozialplanung vorsieht, seien für Politikerinnen und Politiker nicht attraktiv, weil sie dadurch überprüfbar würden. Deswegen sei es manchmal durchaus ratsam, einen Schritt zurück zu gehen, so die Empfehlung von Professor Wunderlich. Die politische Entscheidung sei ein Prozess der ständigen Anpassung an neue Problemlagen, von daher ließen weniger präzise Vorgaben der Politik mehr Handlungsspielraum.
Die Rückmeldung der Zuhörenden auf den Vortrag war überaus positiv: So sei es eine Wohltat gewesen zu hören, dass es nicht ausschließlich an der Arbeitsweise der Sozialplanung liegt, wenn sie nicht vorankommt, sondern dass es dafür strukturelle und systemische Ursachen gibt. Gleichzeitig sollte man Sozialplanung aber nicht überfrachten, so eine weitere Rückmeldung zum Vortrag, und klar definieren, was ihr Auftrag und ihre Rolle ist.
„Es ist eine Wohltat zu hören, dass es nicht an der Arbeitsweise der Sozialplanung liegt, wenn sie nicht vorankommt, sondern dass es dafür strukturelle und systemische Ursachen gibt.“
Sozialplanung und Kommunalpolitik im Landkreis Sömmerda
Nach dem Vortrag von Prof. Wunderlich gaben Christiane Maurer, Dr. Katharina Kratky und Kristin Döhler von der Stabsstelle für Integrierte Sozialplanung im Landkreis Sömmerda einen Einblick in ihr Vorgehen bei der Verknüpfung von bildungs- und sozialplanerischen Themen mit der Kommunalpolitik. Anhand des Planungskreislaufes stellten die drei Planerinnen dar, wie die Einbindung im Rahmen verschiedener Fachplanungen (Armutsprävention, Bildungsmanagement, Integrationsmanagement) erfolgte.
Hier nannten sie zum Beispiel: öffentliche Informationsveranstaltungen, Präsentationen von Analysen und Berichten in Ausschüssen, Gespräche mit Verwaltungsspitze und Expertinnen und Experten sowie die Gründung mehrerer Steuerungs- und Beratungsgremien – zum Beispiel eines „Planungsbeirats Integrierte Sozialplanung“. Zentrale Bedingungen für die erfolgreiche Einbindung von Kommunalpolitik in die Planungsprozesse seien unter anderem ein klarer politischer Wille, Fürsprechende innerhalb der Verwaltung auf Dezernenten- und Amtsleiterebene sowie auch die entsprechende finanzielle und personelle Ressourcenausstattung.
Die Beteiligung politischer Akteure an der Kinder- und Jugendhilfeplanung in Leipzig
Anschließend stellte Mario Bischof, Bildungsmonitorer der Stadt Leipzig, den Beteiligungsprozess an der integrierten Kinder- und Jugendhilfeplanung in der Stadt Leipzig vor. Mit Beginn der Planungsphase in 2017 wurden verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten ins Leben gerufen: Es gab u. a. verwaltungsinterne Arbeitsgruppen, Workshops mit politischen Akteuren und Konferenzen in den Planungsräumen. Eine übergreifende „AG Beteiligung“ hatte die Aufgabe, die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitsgruppen zusammenzuführen.
Der Prozess sei nicht immer reibungslos verlaufen, stellte Bischof fest, und dauerte schließlich, bis zur Beschlussfassung in der Leipziger Ratsversammlung im Juli 2021, insgesamt vier Jahre. Damit Beteiligungsprozesse gelingen können, sollten die Rollen und Aufgaben der Beteiligten von Anfang an klar sein. Wichtig sei auch ein positiver Umgang mit Fehlern: Reibung und Konflikte gehörten dazu. Außerdem braucht es einen transparenten Prozess der Entscheidungsfindung. Nur so kann gewährleistet werden, dass Beteiligung kein Selbstzweck ist, schlussfolgerte Mario Bischof am Ende seines Vortrags.
Rollenkonflikte und Orientierungsmaßstäbe für Sozialplanung
Nach einer kurzen Mittagspause ging es dann weiter mit dem letzten Teil der Veranstaltung. Sabine Lucks, Mitarbeiterin von TransMit, Sozialplanerin und Mitglied im Verein für Sozialplanung (VSOP) e. V., legte in ihrem Beitrag den Fokus auf die eigene Standortbestimmung der Bildungs- und Sozialplanung im Politikfeld und griff die bereits mehrfach thematisierte Frage der Abgrenzung gegenüber den Erwartungen der verschiedenen Akteure im Planungsprozess auf. Bildungs- und Sozialplanende seien immer wieder neu gefordert, ihre Rolle zu definieren, lautete ihre These.
In dem Zusammenhang thematisierte sie klassische Rollen- und Loyalitätskonflikte in der Bildungs- und Sozialplanung. Zahlreiche Zuhörende beschrieben ebenfalls Rollenkonflikte aus ihrem Planungsalltag: Diese ergeben sich bspw. aufgrund unterschiedlicher Hierarchieebenen innerhalb der Verwaltung oder wenn der Auftrag der Verwaltung den Vorgaben des Projektträgers oder gar dem Mandat der Betroffenen widerspricht. Sie würden auch im Zusammenhang mit der Verteilung knapper Ressourcen auftreten oder wenn der eigene – oft wissenschaftliche – Anspruch hinter die Ansichten der Kreistagsmitglieder gestellt werden müsse.
„Der Ethik-Kodex bietet Sozial- und Bildungsplanenden Orientierungsmaßstäbe für den Planungsalltag und schützt im Konfliktfall.“
Eine besondere Neuerung ist in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung eines „Ethik-Kodex für Sozialplanung“ im Jahr 2022. Dieser ist das Ergebnis eines gemeinsamen Verständigungsprozesses über berufsethische Grundsätze in der Sozialplanung, welcher vom Verein für Sozialplanung (VSOP) e. V. bereits im Jahr 2018 angestoßen wurde, erläuterte Lucks zum Abschluss ihres Vortrags. Der Kodex soll Sozial- und Bildungsplanenden Orientierungsmaßstäbe für den Planungsalltag bieten und eine persönliche und berufliche Schutzfunktion im Konfliktfall sein.
Spielregeln der Politik antizipieren
Wenn Sozial- und Bildungsplanung das gesellschaftliche Zusammenleben mitgestalten will, dann darf sie sich nicht scheuen ihre Thesen und Handlungsempfehlungen an die Kommunalpolitik zu adressieren. Doch das wird nicht ohne Reibung ablaufen und ist mit gewissen Vorbedingungen verknüpft. Um nicht selbst in die sprichwörtliche Klemme zwischen fachlichem und politischem Geltungsanspruch zu geraten, sollte Planung frühzeitig die rationale Sichtweise der Lokalpolitik mitdenken. Auf diese Weise können politische Ergebnisse erzielt werden, die auch die fachlichen Perspektiven der Bildungs- und Sozialplanung enthalten.
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Ulrike Richter, Veranstaltungen