Fachtag
Das hier kennst Du doch! denke ich, als ich zielstrebig auf die Halle mit dem großen A zulaufe. Plakate, Graffiti, Industriecharme – Jetzt macht es klick: Hier habe ich meine ersten Konzerte Mitte der 90iger erlebt. Das ist es also, was das Werk2 und mich verbindet. Viel hat sich seitdem nicht verändert. Noch heute ist der Ort im Leipziger Stadtteil Connewitz ein kulturelles Zentrum mit Vereinen und Projekten, Tanz, Theater und Musik. Doch manchmal gäbe es auch ernsthafte Veranstaltungen wie diese hier, scherzt Ulrike Richter – Stellvertretende Leiterin der TransMit – bei der Eröffnung des Fachtages „Baustelle Bildung“.
Es geht um Bildung, um kommunale Bildung
Eine ernsthafte Veranstaltung also. Ich schaue auf die Programmpunkte und lese: "Werkzeugkasten", "Kranfahrt", "Schichtende". Ich schaue mich um und sehe: Absperrband und Bauzäune. Es soll gearbeitet werden, soviel habe ich verstanden. Ich lese noch einmal in der Einladung: "Seit dem Start der Transferagentur Mitteldeutschland vor drei Jahren ist viel passiert. Die Baustelle Bildung nimmt Gestalt an. Wir wollen diskutieren, was wir gemeinsam erreicht haben und welche Aufgaben noch vor uns liegen. Wir schauen zurück, ziehen Bilanz und wagen einen Blick in die Zukunft der Transferagentur."
Heute also kein Konzert. Auch gut, ich freue mich auf den Tag. Schätzungsweise 100 Menschen haben um mich herum Platz genommen. Verantwortliche aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft. Zu meiner Rechten ein Herr aus Sachsen. Er koordiniert die Bildungsangebote für die Neuzugewanderten in seinem Heimatkreis. Zu meiner Linken eine Bildungsmonitorerin, angestellt in einer kreisfreien Stadt in Thüringen und Teil des Bundesprogramms "Bildung integriert". "Und Sie, was machen Sie?", fragt mich meine Kollegin. "Ich bin Bildungsmanager in ...". Ich würde gerne mehr erzählen, da tönen laute Baustellengeräusche aus den Lautsprechern. Es geht los!
TransMit, Leipzig und das DJI
Wir schauen zur Bühne. Am Tisch stehen Prof. Birgit Reißig, Leiterin der Außenstelle des Deutschen Jugendinstituts in Halle und Cornelia Klöter, stellvertretende Leiterin der Abteilung Bildung im Amt für Jugend, Familie und Bildung der Stadt Leipzig. Beide haben sich bereits vor drei Jahren in Leipzig bei der Auftaktveranstaltung der Agentur getroffen.
"Den ersten Bauabschnitt haben wir gemeinsam gemeistert, nun ist es an der Zeit für eine Zwischenbilanz", sagt Reißig und hebt die gute Zusammenarbeit mit der Stadt hervor, die lange vor der Transferinitiative begann. Seit vielen Jahren begleitet das DJI die ehemalige "Lernen vor Ort"-Kommune wissenschaftlich in Projekten und Förderprogrammen. Auch bei der Transferagentur, die am DJI angesiedelt ist, sieht sie Anknüpfungspunkte an die Forschung: "Im kommunalen Bildungsmanagement begegnen uns immer wieder Themen wie frühkindliche Bildung, die Verknüpfung formalen und nonformalen Lernens in Ganztagsschulen, Bildungsübergänge aber auch die Lebens- und Bildungschancen in ländlichen Regionen.", sagt Reißig und verweist auf die Expertise ihres Instituts.
Auch Cornelia Klöter berichtet von der guten Zusammenarbeit mit dem DJI und der dort angesiedelten Agentur. Vor allem bei der Verstetigung der Ergebnisse aus "Lernen vor Ort" habe man die TransMit als verlässlichen Partner erlebt. "Wir konnten Dinge an andere Kommunen weitergeben und andersherum von ihnen profitieren." Eine neue Schnittmenge sei die Zusammenarbeit im Bereich der Förderrichtlinie "Kommunale Koordinierung der Bildungsangebote für Neuzugewanderte" (KoKo), bei der die Leipziger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Veranstaltungsformaten der TransMit profitieren, sagt Klöter.
Es geht weiter!
Wie die Transferinitiative denn bundesweit aufgenommen wurde, will Moderatorin Ulrike Richter wissen. Die Frage geht an Bettina Schwertfeger – Referatsleiterin "Bildung in Regionen" im Bundesministerium für Bildung und Forschung und zuständig für die Transferinitiative. "Gut bis sehr gut!", sagt Schwertfeger und belegt ihre Antwort mit Zahlen: Nach drei Jahren Transferinitiative arbeiten rund die Hälfte aller Landkreise und kreisfreien Städte mit einer der bundesweit acht Transferagenturen zusammen. Von diesen Kommunen nehmen 90 eine personelle Förderung durch das Begleitprogramm "Bildung integriert" in Anspruch. Weitere 450 Personen sind vor Ort für das Programm KoKo im Einsatz.
Was in den Vorgängerprogrammen "Lernende Regionen" und "Lernen vor Ort" begann, sei zu einer bundesweiten Bewegung geworden, so Schwertfeger. Das hört man gern, denke ich mir. Komme ich mir doch gelegentlich vor wie ein Einzelkämpfer, der sich mit den Windmühlen der Verwaltung herumschlägt. Doch Frau Schwertfeger macht mir Mut: "Niemand wird innerhalb von einem Jahr einen Strategiekreis einrichten, einen Bildungsbericht aufsetzen und ein Bildungsmanagement installieren." Das alles seien Langzeitprojekte, die brauchen einen langen Atem. "Langer Atem? Nicht ganz einfach, bei zeitlich begrenzten Förderprogrammen", flüstert mir meine Nachbarin zu. Ich nicke und lausche der guten Nachricht, die soeben auf der Bühne verkündet wird: "Die Transferinitiative geht bis 2022 in die Verlängerung.", sagt Schwertfeger und schaut zufrieden und stolz ins Publikum.
Integration durch Bildung
"Das Thema Zuwanderung ist eines der zentralen Themen, die unsere Kommunen derzeit beschäftigen. Wir sind gespannt, was sie uns berichten." Michael Brock – Landeskoordinator der TransMit – begrüßt Dieter Steinert (Landkreis Mittelsachen) und Ingo Wachtmeister (Landkreis Eisenach) zur Interviewrunde. "Am Anfang ging es vorrangig um die Unterbringung der Neuzugewanderten", sagt Steinert. Als dann die Frage der Integration auf den Tisch kam, seien sie auf KoKo gestoßen. Es gehe darum, die Menschen, die nach Mittelsachen gekommen sind, durch ineinandergreifende Strukturen und attraktive Bildungsangebote im Landkreis zu halten. Die Idee, an das kommunale Bildungsmanagement anzuknüpfen, liegt also auf der Hand.
Auch in Eisenach ist die Integrationsarbeit ein zentraler Teil der kommunalen Bildungslandschaft: "Unsere Stadt besitzt sehr gute Kommunikationswege; ehrenamtliches und hauptamtliches Engagement sind gut verzahnt, jeder weiß wo er sich hinwenden kann." Jetzt ginge es vor allem darum, die unterschiedlichen Programme im Bereich Integration zusammenzuführen und zusammenzudenken, so Wachtmeister. Eine weitere Herausforderung seien die Sprachkurse. Sie sind die Grundvorrausetzung, um die Menschen beruflich zu integrieren, doch stimmen Zertifikate und tatsächliche Sprachkenntnisse nur selten überein.
Im Landkreis Mittelsachsen würden die einzelnen Träger gut zusammenarbeiten, jedoch nicht systematisch genug, kritisiert Steinert. Grundsätzlich wünsche er sich für seinen Landkreis mehr Kompetenz und noch mehr Möglichkeiten, selbstregelnd einzugreifen. Beide beklagen die relativ starren gesetzlichen Rahmenbedingungen und die unbefriedigende Datenlage, die z.B. für die Erfassung von Sprachniveaus oder den tatsächlichen Wünschen und Bedarfen der Zielgruppe gebraucht wird. Der Bildungskoordinator zu meiner Rechten nickt zustimmend, und mit ihm die KoKos und BiKos, so heißen die Bildungskoordinatoren hier in Sachsen.
Stärkung nach getaner Arbeit
Ich reihe mich am Buffet ein. Es ist Mittagszeit. Hinter mir liegen 90 Minuten schwere Arbeit, um im Bild der Baustelle zu bleiben. Nach den morgendlichen Inputs auf der Bühne stand der "Werkzeugkasten" auf dem Programm. Dahinter verbargen sich fünf parallele Thementische, die jetzt, nach getaner Arbeit, verlassen im hinteren, dunklen Teil der Halle stehen. Während ich nun mit meinem noch leeren Teller in der Reihe warte, schaue ich mich um: Ich sehe leere Stühle, vollgeschriebene Flipcharts und Plakate, die an Bauzäunen hängen – rot, grün, blau, violett, orange. Ich lese noch einmal die Themen der Runden, in denen wir gerade noch zusammensaßen. Es ging um Bildung in der Stadt, Ziele und Strategien, die Integration Zugewanderter, die Verstetigung von Förderprogrammen und – diese Runde hatte ich mir ausgesucht – um Bildung im Landkreis.
Noch immer stehe ich in der Reihe. Hinter mir Ines Richter aus dem Landkreis Harz. Gerade noch habe ich ihrem Input gelauscht. Auch in ihrem Kreis habe die Bildungsmonitorerin mit Abwanderung, Fachkräftemangel und sinkenden Azubi-Zahlen zu kämpfen. Und wie bei mir zu Hause, hat sich auch ihre Kommune vorgenommen, diese Probleme mit Bildungsmanagement in den Griff zu bekommen. Nach ihrem Vortrag entbrannte eine Diskussion um bildungspolitische Leitlinien, die Zusammenarbeit mit Stiftungen und darüber, wie man den Rest der Verwaltung für das eigene Tun begeistern kann.
Mit meinem Teller Suppe in der Hand suche ich mir einen freien Platz an einem der Stehtische. Ich stelle mich vor und sofort bin ich im Gespräch. Wie es denn mit unserer Arbeit nach "Bildung integriert" weiterginge und wie man das Ganze denn über das Programm hinaus finanzieren könne, fragt der Kollege gegenüber in die Runde. Der rote Thementisch hatte sich also in die Mittagspause verlagert.
Bildung wird vor Ort gemacht
Und wieder dröhnt Baustellenlärm aus den Boxen. Die Reihen vor der Bühne füllen sich erneut. Auf dem Programm steht ein Thema, das bereits am Vormittag in vielen Gesprächen kritisch anklang: die Zusammenarbeit mit der Landesebene. Prof. Peter Sloane – zuständig für die wissenschaftliche Begleitung der Transferinitiative – bringt auf den Punkt, was viele hier im Publikum immer wieder vor Schwierigkeiten stellt: die Vielfalt an Zuständigkeiten. Wer vor Ort Bildung gestalte, stelle sich nicht die Frage, ob Landes- oder Bundeszuständigkeit, sondern sagt: "Ich habe hier ein Problem und da muss ich vor Ort was machen." Dem Gegenüber stehe jedoch eine traditionell hierarchisch geprägte Struktur, aus Bundes- und Landeszuständigkeiten, in der die Kommunen bisher eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben, sagt Sloane. Doch Bildung finde vor Ort statt, das sei spätestens mit "Lernen vor Ort" Konsens.
Dennoch haben Bildungsverantwortliche mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen: So gebe es unterschiedliche ministerielle Zuständigkeiten für ähnliche Themenfelder, die sich z.B. über Kultus-, Schul- und Arbeitsministerium erstrecken. Hinzukommen die Vielfalt einzelner Ressorts und politische Machtwechsel. Das alles sei nicht zu ändern, man müsse aber einen guten Umgang damit finden, wenn z.B. Programme neu zugeschnitten werden oder Verantwortlichkeiten wechseln. "Da die Kommunen hier oft überfordert sind, müssen die Transferagenturen eine Art Kompass- und Mittlerfunktion einnehmen.", empfiehlt Sloan. Hier ginge es um die Moderation von Prozessen und darum, Kommunikationswege zwischen den einzelnen Ebenen auf- und auszubauen.
Mit diesem kritischen Input geht es für mich in eine der drei Länderrunden. Im kleinen Kreis diskutiere ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus Sachsen-Anhalt Fragen rund um die Zusammenarbeit von Landes- und Bundesprogrammen, die Zuweisung zugewanderter Kinder und Jugendlicher in Kitas und Schulen oder den nicht ganz einfachen Datenaustausch mit den statistischen Landesämtern.
Kranfahrt und Schichtende
36.750 Dientreisekilometer auf insgesamt 500 Dienstreisen. 2880 Anfragen aus Kommunen, 400 Downloads und 25 Veranstaltungen. Das sei die Bilanz aus drei Jahren Transferinitiative Mitteldeutschland, sagt Ulrike Richter. Und wie geht es weiter? "Wir wollen mehr Kommunen in Sachsen gewinnen, den Transfer und fachlichen Austausch zwischen unseren Kommunen fördern und die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, Stiftungen und der Länderebene vorantreiben. Der Bauplan für die nächste Förderphase liegt bereits fertig in der Schublade, wir freuen uns auf die gemeinsame Umsetzung ab 2018." Mit diesen Worten entlässt uns Richter in den wohlverdienten Feierabend.
Schichtende! Ich lehne ins Gespräch vertieft an einem der Stehtische, da fällt mein Blick auf ein Plakat an der Tür. Ein Konzert meiner Lieblingsband, damals, in den 90igern. Die gibt es wieder? Auf dem Weg nach draußen kaufe ich mir eine Karte.
Ulrike Richter, Veranstaltungen