Seit Jahrzehnten ist der Berufswahlpass ein etabliertes Instrument der schulischen Berufs- und Studienorientierung. Das Land Sachsen hat dieses Konzept nun durch eine landesweite Initiative in ein hybrides Format überführt. Neben dem klassischen Ordner mit Registerblättern, bietet der überarbeitete Berufswahlpass einen frei zugänglichen Online-Pool und Arbeitsmaterialien in der Cloud – ein Versuch, analoge und digitale Bildungsangebote gewinnbringend zu verknüpfen.
Schülerinnen und Schüler kennen ihn: Den Ringordner mit den farbigen Registerblättern, der gut verwahrt im Schrank im hinteren Bereich des Klassenzimmers steht – der Berufswahlpass. Seit seiner Einführung in den frühen 2000er Jahren ist er ein unverzichtbares Instrument der beruflichen Orientierung. Hier werden über viele Jahre Arbeitsblätter zu Fähigkeiten, Talenten und Interessen gesammelt, Praktika dokumentiert und Berufswünsche erkundet. Das Portfolio hilft jungen Menschen sich kontinuierlich und strukturiert mit ihrer Lebens- und Berufswegeplanung auseinanderzusetzen.
Seit 2009 ist der Berufswahlpass eine zentrale strategische Säule der Berufs- und Studienorientierung der Sächsischen Landesregierung und somit Teil der Fachkräftesicherung. Eingeführt wurde das Instrument von der Servicestelle Berufswahlpass unter dem Dach der Landesarbeitsstelle Schule-Jugendhilfe (LSJ). „Seit Jahren nutzen über 80% der weiterführenden Schulen in Sachsen den Berufswahlpass für die berufliche Orientierung“, berichtet Dr. Antje Finke, Geschäftsführerin der LSJ und verantwortlich für den Berufswahlpass, der durch Kontakte in die Praxis beständig weiterentwickelt wurde. Das neueste Upgrade: der Berufswahlpass plus (kurz: BWPplus). Er ergänzt den klassischen Ringordner um einen Online-Pool mit digitalen Arbeitsmaterialien.
Das Plus am Berufswahlpass
Mit dem BWPplus können Schulen analoges und digitales Arbeiten auf vielfältige Weise verbinden. Arbeitsblätter und Materialen lassen sich nun aus dem Internet herunterladen oder über eine Cloud bearbeiten. Dazu steht den Nutzenden ein frei zugänglicher Online-Pool mit Arbeitsblättern und Arbeitshilfen zur Verfügung. Lehrkräfte finden hier z.B. Vorlagen zur Gestaltung eines Elternabends oder Unterrichtsmaterialien für die Berufsorientierung. Schülerinnen und Schüler können online ihre berufliche Perspektiven ausloten oder an der Gestaltung ihres Lebenslaufs feilen. Und auch für Unternehmen hat der BWPplus etwas zu bieten: Sie können u.a. auf praxiserprobte Praktikumsverträge zugreifen oder mithilfe von Leitfäden eine Betriebserkundung organisieren. Einen Vorteil der digitalen Materialien liegt laut Dr. Finke darin, dass sie unkompliziert auf dem neuesten Stand gehalten werden können.
Inhaltlich entwickelt und kuratiert wird der Materialpool von der Servicestelle. Schulen und Unternehmen, aber auch Kammern und andere Akteure am Übergang Schule – Beruf sind eingeladen, Materialien für den Online-Pool zu empfehlen. Die Servicestelle prüft diese Vorschläge und überträgt sie in einfache Sprache, bevor sie eingepflegt werden. Denkbar sind auch Multimedia-Inhalte wie Videos oder Präsentationen, die Berufsfelder und Tätigkeiten für junge Menschen greifbarer machen.
Über die digitale Lernplattform LernSax, die sächsischen Bildungseinrichtungen vom Land bereitgestellt wird, steht den Schulen die Ordnerstruktur des Berufswahlpasses auch digital zur Verfügung. Auf LernSax lassen sich zum Beispiel Arbeitsgruppen für Klassen einrichten. Schülerinnen und Schüler können dort private Ordner anlegen, Materialien speichern und bei Bedarf für andere Personen freigeben. Zusätzlich können sich Eltern, die seit jeher wichtige Ansprechpartner und emotionale Stützen in Fragen der Lebensplanung sind, nun besser in die Berufsorientierungsprozesse ihrer Kinder einbringen. Mit ihrem Kind haben sie die Möglichkeit, den Berufswahlpass ortsunabhängig zu nutzen, um über deren Berufs- und Lebenswünsche zu sprechen. Grundsätzlich ermöglicht der hybride BWPplus eine engere Vernetzung zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, Eltern und Unternehmen. „Das vereinfacht den Austausch zwischen den Beteiligten und ermöglicht es, berufliche Orientierung gemeinsam und konkret zu gestalten“, sagt Dr. Finke.
Die Experimentierphase
Mit dem Schuljahr 2023/24 wurde der Berufswahlpass im hybriden Format bereitgestellt. Damit können die 7. Klassen an den Oberschulen und Förderschulen und die 9. Klassen an den Gymnasien Sachsens nun loslegen. Jede Schule kann dabei in ihrem Tempo, nach ihren Gegebenheiten und Möglichkeiten das Verhältnis von digitaler und analoger Nutzung gestalten. Die aktuelle Experimentierphase soll das Potenzial des BWPplus erschließen helfen. Wo liegt der Mehrwert des Digitalen? Wie lassen sich beide Welten gewinnbringend verbinden? Welche Arbeitsweisen können sich im Schulalltag einspielen?
Antworten auf diese Fragen finden die Schulen gemeinsam mit der Servicestelle. In individuellen Beratungen, Fortbildungen und Informationsveranstaltungen erhalten und geben Lehrkräfte Impulse und Anregungen für die Arbeit mit dem BWPplus. Der Austausch mit den Nutzenden ermöglicht den Mitarbeitenden der Servicestelle, Praxiserfahrungen aufzunehmen und zu multiplizieren. „Die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen machen sich aktuell mit den Möglichkeiten des hybriden Arbeitens mit dem BWPplus vertraut. Aber berufliche Orientierung ist eine pädagogische Querschnittsaufgabe, d. h. das hybride Arbeiten muss zudem gut abgestimmt werden. Darin liegt die große Herausforderung für die Schulen. Es ist ein „Ankommen und Austesten“ berichtet Dr. Finke von der Servicestelle.
Wie die digitalen Nutzungsmöglichkeiten die Arbeit mit dem Berufswahlpass und die Berufs- und Lebenswegeplanung junger Menschen verändert, lässt sich momentan noch nicht absehen. Die Servicestelle ist im ständigen Austausch mit Lehrkräften, den Schülerinnen und Schülern und weiteren Akteuren der beruflichen Orientierung. Gemeinsam mit dem zuständigen Sächsischen Staatsministerium für Kultus werden die Möglichkeiten zur hybriden Nutzung des BWPplus ausgelotet und Wege gesucht, mit dem neuen Instrument die Lebens- und Berufswegeplanung junger Menschen noch gezielter zu unterstützen.
Der hybride BWPplus in Sachsen, ein spannendes Projekt zur Verknüpfung analoger und digitaler Bildungsmöglichkeiten, dass wir weiter im Blick behalten.
Michael Brock, Kommunalberatung Sachsen